Le Havre ist die zweitgrößte Hafenstadt Frankreichs und UNESCO-Welterbestätte, hat allerdings den Ruf, eher häßlich zu sein. Wir wollen wissen, wie das zusammen geht. Und den Hafenbetrieb kann man sich auch eine Weile anschauen.

Nicht schön, aber praktisch

Und wieder ist alles sehr geschmeidig gelaufen. Wir stehen auf dem vorgesehenen Platz : Kostenlos (inkl. Ent- und Versorgung). Allerdings sind hier auch bauliche Erweiterungen zu sehen, die auf eine baldige Kommerzialisierung schließen lassen.

Le Havre  (Tourismus-Info )ist die größte Stadt der Normandie und hat 160.000 Einwohner, also etwa so viele wie das ostwestfälische Paderborn, dessen Fläche viermal so groß ist. So wuseln hier 3.500 Einwohner auf einen Quadratkilometer und in der Großstadt an der Pader sind es nur knapp 900. Wir fahren mit dem Rad in die City und erleben, was das bedeutet. Der größte Teil der 6,5 Kilometer langen Strecke bis zum MuMA verläuft aber über Radwege, so daß ich keine Panikattacken erwarte.

Das Museum

Impressionisten im Museum für moderne Kunst

Das unauffällige MuMA  ist das „Musée d'Art Moderne André Malraux“ und beherbergt nach dem Musée d‘Orsay in Paris die zweitgrößte Sammlung von Werken impressionistischer Malerei . Und die lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Der Eintritt kostet 5 Euro, die Hälfte des auf der Internetseite veröffentlichten Preises, was daran liegen könnte, dass die untere Etage mit den Fotografien und Werken moderner Kunst wegen Umbaus gesperrt war. Die Galerie des MuMa ist verhältnismäßig klein im Vergleich etwa zum Rijksmuseum in Amsterdam. Dafür haben wir beim Verlassen des Gebäudes das Gefühl, das meiste nicht nur gesehen sondern auch betrachtet zu haben.

Das Perret-Viertel

Plattenbau mitten in der City am „Bassin de Commerce“ (der große und kleine Vulkan ganz links im Bild)


Massive Bombenangriffe des RAF Bomber Command  am 5. und 6. September 1944 zerstörten den größten Teil der Bausubstanz von Le Havre – ein Schicksal, das die Stadt mit anderen in Frankreich teilte. Aber in der Hafenmetropole an der Seine-Mündung entschied man sich für einen radikalen Neuanfang, ein noch nie dagewesenes städtebauliches und soziales Experiment. Nach dem Krieg wurde die Stadt nach Plänen des Architektenbüros Auguste Perret  in moderner Betonarchitektur wiederaufgebaut. Selbst das Rathaus Le Havre  und die Kirche St. Joseph  wurden in diesem Stil errichtet. Eine Stadt der Zukunft sollte entstehen, und zwar aus einem Material, das man aus zermahlenem Schutt der zerstörten Häuser herstellte – und damit wurde der schlechte Ruf der Stadt sprichwörtlich zementiert. Immer wieder wurde die graue Unansehnlichkeit Le Havres betont, bis schließlich sogar die Einwohner selbst nichts Schönes mehr an ihrer Stadt fanden. Das sei eine „doppelte Zerstörung“ urteilten viele Bürger.


Das Perret-Viertel als Dreieck: Vom Rathaus über das Tor zum Ozean bis zum MuMA

Plattenbau nach Perret (Bild oben: am Bassin du Commerce)

Wenn man dann aber durch die gleichförmigen Straßen dieses Viertels geht und daran denkt, dass letztlich ein paar wahnsinnige Herrenmenschen die Ursache dafür sind, dann wird dieses Labyrinth zu einem Mahnmal ähnlich dem am Brandenburger Tor in Berlin, durch das man andächtig schreitet. Und dann sind da die wenigen Blumendekorationen an den Fenstern und die Oasen in Form von Grünflächen (zum Beispiel vor dem Rathaus) oder Plätzen, die die Eintönigkeit auflockern und gerade deshalb betonen. Und obwohl Grundriss und Struktur der Häuser immer gleich sind, bringt man durch Farben und unterschiedliche Behandlung der Betonplatten doch etwas Abwechslung ins Spiel.

Von weitem ein grauer, schmuckloser Klotz – von innen etwas Einzigartiges

Ich weiß nicht, mit welchen Worten ich das beschreiben soll. Perret soll dazu gesagt haben: „Mein Beton ist schöner als Stein, dessen Schönheit die edelsten Baumaterialien übertrifft. Er hat seine eigene Poesie“. So weit würde ich jetzt mal nicht gehen, aber das Viertel hat was. Anfangs vehement kritisiert („die zweite Zerstörung Le Havres“) wurde es 50 Jahre später aufgrund seiner außergewöhnlichen Nachkriegsarchitektur ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Bei Youtube gibt es einen interessanten Film dazu: Schätze der Welt – Poesie in Beton .

Das Rathaus

Das Rathaus mit seinem „Aussichtsturm“

Bei Rathäusern sind wir ja schon einiges gewöhnt. Das Gebäude in unserer Heimatstadt ist auch so ein Betonklotz – allerdings nicht von Perret und damit weit weg von jeglicher Lyrik und wohl für jedermann häßlich.

Bei diesem hier bietet der kleine Park davor mit seinen Wasserspielen einen netten Kontrast zum mausgrauen Klotz. Der Turm, ursprünglich von Perret geplant und auch nach 20 Entwürfen nicht genehmigt, wurde erst nach seinem Tode errichtet. Heute ist es eines der Wahrzeichen der Stadt.

Vor dem Rathaus

Das 72 Meter hohe Turm und sein Balkon in der 17. Etage bieten eine weite Aussicht auf die Stadt, den Hafen, die Seine-Mündung sowie die Brücke der Normandie  darüber. Eine Führung dauert 50 Minuten man bekommt Informationen zur Stadt und ihrer Geschichte seit der Gründung im Jahr 1517. Um das zu erleben, müsst ihr euch allerdings erst bei Pays d'art et d'histoire   (Touristik-Info  ) anmelden. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann kostet das für Gruppen von außerhalb der Stadt in nichtfranzösischer Sprache 150 € (siehe hier ) – für Einzelgänger wie uns also weniger geeignet.

Die Kirche

Über 12000 teilweise bunte Glasbausteine färben den Innenraum der Kirche

Schmucklose Betonarchitektur bei Rathäusern sind also keine Seltenheit. Bei sakralen Gebäuden finde ich das aber ungewöhnlich – erst recht wenn das Gotteshaus aussieht wie ein Festungsturm. Damit sind wir bei einem weiteren Wahrzeichen von Le Havre, das auch von weitem sichtbar ist: die Kirche St. Joseph.

Die Form soll an einen Leuchtturm erinnern und das ist für eine Kirche ja erst mal keine schlechte Idee. Leuchten tun auch die mehr als 12.000 kleine, farbige Glasbausteine, durch die das Sonnenlicht in den mehr oder weniger einzigen Innenraum strahlt. Der wird so je nach Tagezeit in ein anderes Licht getaucht. Weil das als Beleuchtung nicht ausreicht, erhellt eine Art lampenbestückter Baldachin den Hauptaltar ähnlich wie eine Konzertbühne. Ansonsten war der Raum bei unserem Besuch eher dunkel. Das lag aber vielleicht auch daran, dass in einem abgeteilten Raum gerade eine Beerdigung stattfand, die sich augenscheinlich nicht vom Touristikbetrieb stören ließ. Marianne ist nicht so begeistert wie ich und flüstert mir ins Ohr: „Dies ist keine Kirche.“ In der Tat, sehr ungewöhnlich. Aber ich meine, daß jedes Gebäude, in dem gebetet wird und Gottesdienste stattfinden, auch eine Kirche ist.

Der Vulkan

Der Vulkan am „Bassin du Commerce“

Wir nähern uns dem „Pont de Normandie“

Oscar Niemeyer  entwarf in den 70ern das Kulturzentrum, das Maison de la Culture du Havre, das wegen seiner Form eines abgeschnittenen Vulkankegels auch le volcan  genannt wird. Der kleine Vulkan daneben beherbergt die Mediathek bzw. Stadtbibliothek von Le Havre. Die geschwungenen Mauern dazwischen bilden eine Friedenstaube, was auf Google Maps  gut zu sehen ist. Die Bibliothek ist sehenswert, war aber bei meinem Besuch wegen der Schulferien leider geschlossen.

Auf Wiedersehen Le Havre

Auf einem meiner Erkundungsgänge komme ich zufällig am Bahnhof vorbei und diese Orte schaue ich mir immer gerne an (nicht nur wegen der Croissants, die es dort meist in aller Frühe gibt). Und was soll ich sagen – dieser Bahnhof erinnert mich tatsächlich an den in Paderborn: ähnlich zweckmäßige Struktur, wenig los, kaum Gastronomie. Hier kann man auch nur Ankommen oder Wegfahren.

Letzteres tun wir morgen auch. Und dann kommt ziemlich schnell das nächste Highlight: Die 1994 fertiggestellte Brücke der Normandie  ist mit einer Spannweite von 856 Meter die größte Schrägseilbrücke Europas und führt über die Mündung der Seine nach Honfleur . Wir waren vor zwei Jahren schon einmal hier und da war die „Überfahrt“ fast so aufregend wie eine Achterbahnfahrt. Honfleur kennen wir schon (siehe hier ) und deshalb fahren wir morgen direkt weiter nach Falaise.

Mir hat Le Havre sehr gut gefallen und ich komme gerne wieder. Andere Autoren kennen die Stadt besser wie wir und haben ausführlichere Texte mit vielen Bildern im Netz veröffentlicht. Unten findest du ein paar Links dorthin. Auf den Seiten der Normandie-Touristik  gibt es ebenfalls viel Inspirationsmaterial.

Impressionen

Strandleben im April

Im Fischereihafen

Drei „Schlepper“ holen ein Containerschiff


Das „Bassin du Commerce“

„Bassin du Commerce“ vom Vulkan aus

Les bains des docks: Einzigartiges Bad


Moderne Architektur nicht im Perret-Stil

Die Goldküste von HeHe

Das schmale Haus von Erwin Wurm


Das „Tor zum Ozean“

Das Tor in Richtung Stadt

Knusprige „Victor Pommes“ von Milot


Links