Eigentlich wollen wir uns hier nur seine Burg ansehen. Darin befindet sich ein Museum zum Leben von William, dem normannischen Herzog, der 1066 auszog, um England zu erobern. Dahinter steckt ein Drama mit vielen Akteuren, deren Geister in der Festung ihre eigene Geschichte erzählen.

Noch ist es ruhig, aber wenn die am morgigen Montag loslegen, um den Weg hinter uns zu bearbeiten ...
Falaise liegt 120 Kilometer von Le Havre entfent – wir haben also zur Abwechslung mal wieder einen größeren Sprung gemacht. Unser Stellplatz ist eigentlich nur ein Parkplatz. Es gibt zwar Womo-Schilder, die uns hierher geführt haben, aber am Platz selbst ist keine Kennzeichnung. Eine Entsorgungsmöglichkeit steht 100 Meter weiter an einer Tankstelle zur Verfügung. Wasser (Trink- und WC-Spülung) kostet 2 Euro. Alles ein wenig seltsam, aber dafür stehen wir nahezu im Grünen. 200 Meter weiter ist ein Freizeitbad und hinter uns liegt ein kleineres Feld- und Waldgebiet mit schönen Spazierwegen.
Heute ist Sonntag und das Wetter ist so verlockend, dass wir gleich das Freizeitbad (Hallenbad mit Außenbecken) neben uns besuchen (6,90 € für 3 Stunden vormittags oder nachmittags). Bäder mit Hintergrundmusik kennen wir ja, aber in dieser Halle kann von Hintergrund keine Rede sein – geht mehr in Richtung Disco. Ich gehe gleich nach draußen und da ist der Sound noch lauter. Am Beckenrand steht eine größere Mobilbox und ein jugendlicher „Aufseher“ bestimmt mit Handy das Programm. Habe ich gedacht. Dann gibt der Bursche sein Handy einem der Schwimmer, der die nächsten Titel wählt. Was für ein Service.
Wer die mittelalterliche Anmutung der vielen Natursteinhäuser mag, findet um die Burg und den Ortskern herum sehenswerte Umgebungen zum Ablaufen. Dabei kommt man an einem attraktiven Campingplatz vorbei, der noch schöner liegen wird, wenn erst die Renaturierung des Flusses Ante dahinter abgeschlossen ist.
Am Fluß soll auch der Brunnen gewesen sein, an dem der Herzog der Normandie einst Arlette (auch Herleva), die zukünftige Mutter von Wilhelm kennengelernt hat (siehe Kasten). An der vermuteten Stelle ist ein Erinnerungsmal: ein in den 50er Jahren renoviertes Relief zwischen zwei Türmchen zeigt die geschichtsträchtige Begegnung. Warum so viele Leute das Wasserloch davor fotografieren, habe erst nicht verstanden.
Die gestickten Bilder stammen aus dem Teppich von Bayeux (Quelle: Wikipedia).
Schwer ruht das Haupt, das eine Krone trägt.
William Shakespeare

Angeln und Sachsen (Quelle: Wikipedia)
Wir befinden uns im 11. Jahrhundert: Das damalige England wird von den Angeln und Sachsen bevölkert. Das sind germanische Stämme, die sich ab dem 5. Jahrhundert im Rahmen der Völkerwanderung dort angesiedelt haben.
Als Wikinger werden die Angehörigen von schiffsreisenden, teilweise kriegerischen Personengruppen aus dem skandinavischen Raum (heutiges Dänemark, Norwegen und Schweden) bezeichnet, die während der Wikingerzeit (790-1070 n. Chr.) in Mitteleuropa Angst und Schrecken verbreiten. Auf ihren Raubzügen plündern sie Klöster und Städte im heutigen Irland, England, Frankreich und Deutschland.

Normannische Ge-biete im 12. Jhd. (Quelle: Wikipedia)
Die Normannen (Nordmänner) sind Nachkommen jener Wikinger, die 911 vom französischen König ein Gebiet in Nordfrankreich (als Lehen ) erhalten haben: das Herzogtum Normandie.
1013 in England: Sven Gabelbart , der Sohn des dänischen Königs Harald Blauzahn (nach dem
übrigens unser Funkstandard Bluetooth benannt wird) vertreibt den angelsächsischen König Æthelred. Svens Sohn Knut heiratet Æthelreds normannische Frau Emma (im 11. Jahrhundert ist es durchaus üblich, dass Eroberer die Frauen ihrer Vorgänger heiraten) und folgt Sven auf den Thron.
Emma hat ihre beiden Söhne aus erster Ehe, Alfred und Edward, vorher in der Normandie in Sicherheit gebracht, wo sie dann aufwachsen (was später bedeutsam wird).
1028 in Frankreich: Robert , Herzog der Normandie und Ururenkel vom Wikinger Rollo
, kommt im Frühjahr 1028 von einem Jagdausflug zurück, sieht die Gerberstochter Herleva an einem Brunnen und verliebt sich in sie. Der verheiratete Robert führt die schöne Frau in sein Schlafgemach, die beiden kommen zusammen und im Herbst erblickt William in der Burg Falais das Licht der Welt.
Sechs Jahre später denkt der kriegerische Robert über seine Lebensführung nach (besonders den Diebstahl von Kirchengütern), bekommt ein schlechtes Gewissen, gibt einiges der Kirche zurück, setzt William als Thronerben ein und unternimmt eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, auf dessen Rückweg er erkrankt und mit 35 Jahren stirbt.
1035 in England: Nach Knuts Tod kommen Alfred und Edward zurück nach England, aber Alfred wird dort vom englischen Adeligen Godwin umgebracht. Edward flüchtet zurück in die Normandie. Nachdem Knuts zwei Söhne und Nachfolger aus erster Ehe gestorben sind, wird Edward 1042 König von England und bringt jede Menge Normannen mit an den Hof, was den Engländern überhaupt nicht gefällt.
Edward versucht zeitlebens etwas gegen den Mörder seines Bruders zu unternehmen, aber die Godwins haben mächtige Verbündete. Edward wird von Godwin sogar gezwungen, seine Tochter Edith zu heiraten, damit ein gemeinsames Kind die Familie doch noch auf den Thron bringt. Edward rächt sich, in dem er die Ehe nicht vollzieht. Damit bleibt er kinderlos, was erhebliche Konsequenzen für den weiteren Lauf der Geschichte hat.
Gleichzeitig in Frankreich: Der 8jährige Wilhelm, häufig abwertend als Bastard bezeichnet (weil unehelich), gerät in einen zwei Jahrzehnte andauernden Machtkampf zwischen verschiedenen Fraktionen, die von den benachbarten Herrschern Frankreichs, der Bretagne und Anjou unterstützt werden. Mindestens zwei von Wilhelms Unterstützern sterben gewaltsam. Sein Hof ist als Ort der Verschwörung und des Mordes berüchtigt, vor dem Wilhelm nachts in den Häusern der Armen Schutz sucht.
Ohne Vater und in einer paranoiden Umgebung aufgewachsen, triumphiert Wilhelm durch eine Kombination aus Diplomatie und Terror. Gemeinsam mit dem König von Frankreich besiegt er 1047 seine Rivalen.
Zurück in England: Irgendwann in den nächsten Jahren bis 1062 soll Edward dann William zu verstehen gegeben haben, dass er ihn als seinen Nachfolger vorgesehen hat. Dafür gibt es Hinweise, aber keine Belege.
Irgendwann (vielleicht um 1050) heiratet er auch Matilde , die Tochter des Herzogs von Flandern. Papst Leo IX. hatte die Heirat vorher verboten (vielleicht) wegen des zu nahen Verwandschaftsgrades. Papst Nikolaus II. dagegen genehmigt 1050 die Verbindung, worauf die beiden Eheleute – aus Dankbarkeit oder auch um den Papst günstig zu stimmen – je ein Kloster stiften.
1062 reist Harold Godwinson (der Sohn von Godwin) aus unbekannten Gründen nach Frankreich, erleidet an der Küste Schiffbruch, wird gefangengenommen, von William ausgelöst, freundlich empfangen und bleibt einige Zeit an seinem Hof.
Gegen Ende des Aufenthalts macht Wilhelm seinen Konkurrenten zum Ritter und zu seinem Gefolgsmann. Danach läßt er Harold schwören, dass der Williams Anspruch auf den englischen Thron unterstützt. Erst danach wird Harold offenbart, dass er den Schwur mit der Hand auf einer Kiste mit heiligen Reliquien getan hat. Oha!
England, 1066: Edward stirbt im Januar. Kurz vorher soll er Harold Godwinson mit einer „Geste“ zu seinem Nachfolger bestimmt haben und die angel-sächsischen Adeligen bestätigen ihn als König.
Frankreich, 1066: Wilhelm erfährt ziemlich schnell von der Krönung, ist sauer und beginnt mit den Vorbereitungen für eine Invasion. Er hat von seinem 5. bis zu seinem 32. Lebensjahr ständig im Konflikt zugebracht. Kampf und Krieg mussten für ihn Normalität sein. So kann es nicht verwundern, dass Wilhelm sich aufmacht, seine Macht mit denselben Mitteln zu vergrößern, mit denen er sie gefestigt hat. Und Wilhelm ist es gewohnt, seine Kämpfe zu gewinnen.
Papst Alexander der II. erklärt ihn zum rechtmäßigen König von England und segnet sein Kriegsbanner, nachdem er erfährt, dass Harold einen Eid auf heiligen Reliquien gebrochen hat.
England, 1066: Harold hat sich ein Jahr zuvor mit seinem Bruder Tostig verkracht. Tostig schmollt, reist an den norwegischen Hof und überredet König Harald Hardrada dazu, England zu überfallen. Dies geschieht auch im September 1066. Harold stürmt mit einer englischen Armee von London nach Norden und überrascht Tostig und Harald bei Stamford-Bridge – in der Schlacht sterben die beiden und viele ihrer Männer.
Am 28. September landet William mit seiner Armee an der Küste Englands. Harold erfährt davon und hastet mit seinen erschöpften Truppen in einem Gewaltmarsch die 320 Kilometer südwärts bis nach Hastings. Dort verläßt ihn sein Kriegsglück. Die erbitterte Schlacht dauert einen Tag und wird durch eine List (vorgetäuschter Rückzug) entschieden. Harold stirbt und William, Herzog der Normandie und Untertan (besser: Vasall ) des Königs von Frankreich, wird selbst König von England.
Er läßt alle wichtigen Posten mit normannischen Gefolgsleuten besetzen. Die angelsächsische Oberschicht wird enteignet und verfolgt, viele Adlige umgebracht. Die brutale Niederschlagung der Aufstände im Norden Englands gehen als „Harrying of the North “ in die Geschichte ein.
1087: Wilhelm der Eroberer stirbt. Sein Reich wird aufgeteilt: Robert bekommt die Normandie, sein zweiter Sohn Wilhelm
übernimmt den Thron Englands. Heinrich
wird mit 5.000 Pfund Silber abgefunden. Wilhelm II. ist beim Volk sehr unbeliebt und die meisten Leute heute wissen über ihn nur, das er bei einem mysteriösen Jagdunfall stirbt – Pfeil in der Lunge. War aber vielleicht kein Unfall, denn …
1100: Heinrich, der jüngste Sohn des Eroberers kommt an die Macht. Der sollte eigentlich Bischof werden und bekommt deshalb eine hervorragende Schulbildung – einer der wenigen normannischen Regenten, die fließend Englisch sprechen. Heinrich erhielt den Beinamen „Löwe der Gerechtigkeit“, da seine Herrschaft durch eine selbst auferlegte Machtbeschränkung der Krone gekennzeichnet ist (die seine Nachfolger weitgehend ignorieren).
Er beschleunigt die Reichsverwaltung, vereinigt (durch Einkerkerung seines Bruders Robert) die Normandie und England wieder unter einem Herrscher, verliert aber beim Untergang des weißen Schiffes seinen einzigen legitimen Sohn und Thronfolger. Das ist – historisch betrachtet – eines der folgenreichsten Schiffsunglücke, denn jetzt setzt Wilhelm seine Tochter Matilda als Thronerbin ein. Das kommt nicht gut (siehe Teil 2 im Artikel zu Eu).
Mehr dazu:
Die normannische Eroberung Englands
Und irgendwann stehen wir dann auf dem Rathausplatz (auch Marktplatz). Die vier hier am meisten fotografierten Objekte sind: die Kirche Sainte-Trinité, der Aufgang zur Burg, ein Reiter-Standbild mit einem aggressiv anmutenden William und … ein Panzer. Die dreiteilige Infotafel neben dem Kettenfahrzeug zeigt einen Text mit dem Titel „War is hell“. Hinter dem Panzer befindet sich die Gedenkstätte „Zivilisten im Krieg“. Das ist ja mal ein Ensemble!
Aber alles der Reihe nach: Wir waren gestern schon auf dem Außengelände der Burg. Drinnen ist ein Museum mit einer Geschichte der normannischen Könige von England, die mit Wilhelm dem Eroberer 1066 beginnt und keine 100 Jahre andauert. Das werde ich heute besuchen.
Ich finde das Mittelalter grundsätzlich interessant (und diese Geschichte besonders), weil diese Zeit so anders ist wie unsere heutige, und irgendwie ist das Eintauchen darin wie eine Reise in ein fremdes Land. Und ich liebe Geschichten, und die von Wilhelm und seinen Nachkommen ist schon eine gute Story. Deswegen gibt es ja auch etliche historische Romane und ein paar Filme, die um die damaligen Ereignisse herum gesponnen wurden. Hier kann man – wie ich meine – gut sehen, wie kleine, normalerweise unbedeutende Handlungen große Wirkung entfalten. Was wäre denn geschehen, wenn Arleva ihre Wäsche nicht an jenem Tag gewaschen hätte oder Harold sich nicht mit Tostig verkracht hätte?
Bei der Betrachtung von Geschichte kommt es ja meist auf den Standpunkt an: Die Helden der einen Seite sind oft die Schurken der anderen Seite. Nüchterne Zeitgenossen mögen jetzt einwenden, das Wilhelm der Eroberer auch nur ein anderer Putin sei, und selbst wenn es wirklich wahr ist, dass ihm der englische Thron von Harold weggenommen wurde, so war er ein brutaler Krieger, ja für manche Autoren sogar ein Kriegsverbrecher. Soll man sich überhaupt mit so einem Typen beschäftigen?
„Krieg ist die Hölle“, das galt wohl schon im Mittelalter, und selbst wenn man in Falaise beim Aufstellen der Infotafel nicht an die Eroberung Englands gedacht hat, sondern nur an die fürchterliche Kesselschlacht im August 1944, könnten nachdenkliche Zeitgenossen beim Betrachten dieses Ensembles auf dem Rathausplatz durchaus diese Verbindung sehen.
Das Museum
Der Geist von Wilhelm jedenfalls – und jetzt stehe ich in der Vorhalle der Burg – vermittelt nicht das Bild eines Helden, sondern eher das eines humorlosen, grimmigen Kriegers, der zornig ausruft: „England gehört mir. Wie können sie es wagen es mir zu verweigern? Also habe ich es mir geholt mit meinen Normannen.“
Hier in der Vorhalle kommen abwechselnd auch die Geister der gütigen Ehefrau Matilda und ein selbstzufriedener Heinrich zu Wort. In den anderen Räumen stellen sich Heinrich der II, seine Frau Eleonore und deren Söhne Richard Löwenherz und John Ohneland sowie der französische König Philipp vor und erzählen eine Teil ihrer Lebensgeschichte. Auch deren Monologe kommen mit ihrer Kleidung, Mimik und Gestik so „echt“ rüber, dass ich denke: „Wow, das ist doch mal eine Alternative zu trockenen Texttafeln.“
Die Geister sind natürlich Projektionen, aber die sind so gut gemacht (besonders bei Richard), dass man ihnen die Worte aus dem Jenseits sofort abnimmt. Und für die Hör- und Sprachgeschädigten gibt es Untertitel in französisch und englisch.
Mit einem anderen „modernen“ Feature dieses Museums kann ich weniger anfangen: Am Eingang bekommt jeder Besucher ein Tablet und damit kann man sich die Räume der Burg so anschauen, wie sie zu Zeiten Williams wohl ausgesehen haben – einfach nur das Tablet in die jeweilige Richtung halten. Der Standpunkt des 3D-Raum-Betrachters auf dem Tablet ist aber immer fix in der Mitte des Raumes. Man kann die gezeigten Gegenstände also nicht aus der Nähe betrachten.
In der Vorhalle ist diese Art von Zeitreise ja noch ganz nett – vor allem deshalb, weil an verschiedenen Stellen gelbe Marker auftauchen, die ich antippen kann, um weitere Informationen zu einem Objekt zu bekommen. Im Laufe des Rundgangs wird es dann schon etwas simpler und manchmal fühle ich mich eher wie ein Computerspieler, der irgendwelcher Gegenstände in dunklen Verliesen sucht. Hier laufen aber auch viele Schüler herum und für die kann man mit dem Tablet sicher interessante Suchspiele realisieren.


Infotafel (häufig mit einem Titelbild aus der 3D-Welt) mit kleinen Info-Happen (siehe Bild 2, links unten)
Aber es gibt sie natürlich doch, die vielen Texttafeln, aber durch die moderne Gestaltung (viele Bilder und kleine, eigenständige Info-Happen) sind die selbst für eilige Besucher nützlich – solange sie französisch oder englisch lesen können.
Und das ist dann auch für mich das einzige Manko dieses besonders für junge Menschen sehr gut gestalteten Museums: deutsche Eltern mit ihren Kindern müssen sich beim gemeinsamen Betrachten der Medien wohl als Übersetzer befleißigen. Aber man könnte ja „Lernen durch Lehren“ auch als Teil der Museumskonzeption betrachten.
Irgendwann im Laufe des Rundgangs stehe ich plötzlich im Freien und brauche einen Moment, bis ich erkenne, das ich oben auf dem Turm hinter der Brüstungsmauer stehe. Ein Schild mahnt Personen mit Höhenangst zur Umkehr. Ich gehe den steinernen „Laufsteg“ an der Mauer hinauf, bis mein Oberkörper über die Mauer ragt und habe einen fabelhaften Ausblick in die Umgebung.
Der Panzer
Außerhalb der Burgmauern und vor der Erinnerungsstätte Zivilisten im Krieg steht ein Werk, das sich von den üblichen Ausstellungen militärischer Ausrüstung in der Normandie abhebt. „War is hell
“ wurde am 8. Mai 2019 anlässlich des 75. Jahrestages der Schlacht um die Normandie aufgestellt und ist ein einzigartiges Kunstwerk in Frankreich. Geschaffen hat es Jef Aérosol
, ein international bekannter französischer Schablonenkünstler und Vorläufer der Straßenkunst.
Aérosol sprühte die Gesichter vieler Männer, Frauen und Kinder auf einen aus Einzelteilen zusammengebauten Sherman-Panzer und wollte so das Paradoxon beleuchten, dass wir über „Krieg sprechen müssen, um den Frieden feiern zu können“ – zwei Begriffe, die in ihrem Kontrast so eng miteinander verbunden sind wie Schwarz und Weiß, die vom Künstler bei seinen Porträts verwendeten „Farben“. Das Werk ist ein anschauliches Plädoyer gegen die Gewalt und Absurdität aller Kriege. Es soll erinnern an die Zivilisten und Soldaten, deren Leben durch vergangene und auch aktuelle Konflikte zerstört wurden. Und es soll eine Mahnung sein an die Generationen, die das Glück haben, nicht davon betroffen zu sein.
Das Memorial
Auch die Erinnerungsstätte hinter dem Panzer ist anders als zum Beispiel das sehenswerte Memorial in Caen (siehe mein Artikel
dazu), das sich viel mit dem Ablauf des Krieges beschäftigt. Hier stehen die Zivilisten im Mittelpunkt. Eine Etage der Dauerausstellung hat das Leben unter deutscher Besatzung
zum Thema und eine weitere die Befreiung der Normandie
durch die Allierten.
Im dritten Ausstellungsbereich zeigt ein Film die aufeinanderfolgenden Phasen der Bombenangriffe. Dieser Raum wurde an der Stelle eines dadurch zerstörten Hauses eingerichtet und soll ein immersive Erfahrung ermöglichen, die Besucher sollen also eintauchen können in die gezeigte Situation. Das habe ich mal ausgelassen. Die Texte in der Daueraustellung sind dagegen fast durchgängig französisch und englisch, einige außerdem noch in deutsch. Einen Audioguide mit Zusammenfassungen von etwa 20 Themen gibt es für 3 Euro (auch in deutsch) zusätzlich zu den 8,50 Euro Eintritt.
Die bis 4. Januar 2026 laufende temporäre Ausstellung „Le monde d'apres guerre, une paix fragile“ (Die Welt nach dem Krieg – ein zerbrechlicher Frieden) besteht aus großformatigen Infotafeln nur in französischer Sprache. Einige wenige und knappe englische Zusammenfassungen zu den Tafeln liegen bereit.
Was hat mich besonders beeindruckt? Was habe ich gelernt (und behalten)? Beim Thema „Befreiung“ vor allem zwei Dinge:
1. 20% aller allierten Bomben fielen auf Frankreich. Das sind mehr als ich dachte und deshalb nimmt wohl die ambivalente Reaktion der Franzosen auf den tödlichen Befreiungsschlag in der Ausstellung auch einen größeren Raum ein.
2. Die Beteiligung deutscher Soldaten am Minenräumdienst, die, wenn ich den Sprecher im Audioguide richtig verstanden habe, freiwillig gewesen sein soll, weil man Kriegsgefangene laut Genfer Konvention ja nicht zu derart gefährlichen Operationen zwingen darf. Das ist ja direkt mal was positives über die Deutschen, habe ich gedacht. Vielleicht etwas naiv, denn …
… tatsächlich war es wohl meistens anders (siehe Spiegel-Artikel ). Es gibt da auch einen guten Spielfilm drüber: Unter dem Sand
Dem Bereich „Leben unter der Besatzung“ ist der größere Teil der Dauerausstellung gewidmet. Neu für mich: Ausmaß und Rolle der deutschen Propaganda-Kampagne und die Wirksamkeit des rechtsgerichteten Vichy-Regimes , der neuen französischen Regierung in der unbesetzten, aber nicht unabhängigen südlichen Hälfte Frankreichs.
Dagegen wirken die Schicksale und künstlerischen Abeiten von französischen Kriegsgefangenen, die mit Holz schnitzten, in Geschirr gravierten, aus Ton formten oder Stiften malten nur wie eine Nebensächlichkeit – machen aber genauso betroffen. Und so verlasse ich auch diese Erinnerungsstätte im Bewußtsein des unfaßbaren Leids, das die Nazis über andere Völker gebracht haben. Einerseits.
Andererseits fühle ich mich seltsam geerdet und entspannt und bin unendlich froh, dass ich das nicht erleben mußte. Dagegen sind doch so manche der ernsten Probleme unserer Generation nur Pillepalle.
Ach ja, klar weiß ich, das vieles was wir über die Eroberung Englands wissen, aus den Federn von Schreibern stammt, die den Normannen nahe standen. Und im Laufe der langen Zeit entstehen natürlich auch (Rechtfertigungs-)Legenden, deren Wahrheitsgehalte heute kaum noch überprüft werden können. Aber ich bin kein Wissenschaftler, sondern halte es eher mit der Auffassung von Maxwell Scott: „When the legend becomes fact, print the legend“ aus einem meiner Lieblingsfilme