Den gesuchten Schatz haben die vier nicht gefunden, aber unglaublich wertvoll war es trotzdem, was Marcel Ravidat und seine Freunde vor fast 85 Jahren hier im Wald entdeckten.

Der Terrier hatte das Kaninchen aufgespürt und stürmte hinterher. Marcel Ravidat versuchte, Robòt zurück zu pfeifen. Die beiden waren im Wald des kleinen Ortes Montignac  im Tal der Vézère . Als der junge Mann den Vierbeiner eingeholt hatte, bellte der vor einem 20 Zentimeter großen Erdloch in einer Vertiefung, die der Wurzelballen einer umgestürzten Pinie freigelegt hatte. Marcel warf Steine hinein, um das Kaninchen heraus zu locken. Am Echo erkannte er, dass sich hinter der Öffnung ein riesiger Hohlraum verbarg. Könnte das etwa ein Ausgang des unterirdischen Ganges sein, der einer lokalen Legende nach vom alten, maroden Schloss Montignacs – unter dem Fluß Vézère hindurch (!) – zum Gutshof von Lascaux führt, und an dessen Ende ein veritabler Schatz zu finden sei.

Eingang der Höhle im Jahr 1940. Von links nach rechts: Léon Laval, Marcel Ravidat, Jacques Marsal, Henri Breuil (Quelle: Presseinfo Lascaux 4)

Das war am 8. September 1940. Vier Tage später kehrte Marcel in Begleitung seiner Freunde Georges, Simon und Jacques an die Fundstelle zurück. Sie hatten eine provisorische Ausrüstung (Öllampe, Entermesser) dabei, um die Öffnung zu vergrößern und den Weg unter der Erde zu beleuchten. Dann stiegen sie einer nach dem anderen die Schotterrampe hinunter in den „Saal der Stiere“, wie dieser Teil der riesigen Höhle später genannt wird. Von den 17.000 Jahre alten Abbildungen an den Wänden haben sie gar nicht mal so viel wahrgenommen, weil der Schein ihrer Lampen auf den Boden gerichtet war – dorthin, wo sich Schätze normalerweise befinden.

Die Bezeichungen der Höhlenabschnitte von Lascaux I (Quelle: Wikipedia)

Wieder zurück im hellen Tageslicht schworen sich die Burschen hoch und heilig, niemandem von ihrer Entdeckung zu erzählen. Drei Tage später wusste es das halbe Dorf.

So erzählt uns unsere Führerin Marie die Geschichte von der Entdeckung der Höhle von Lascaux , die wir jetzt besichtigen werden. Wie so häufig bei derart aufregenden Erlebnissen berichtet jeder der Beteiligten seine eigene Version. Wir werden also nie erfahren, was genau hier vor 85 Jahren passierte, aber eins ist klar: Die Jungs müssen sich so gefühlt haben wie ich mich vor 45 Jahren beim Lesen der 5-Freunde-Geschichten von Enid Blyton.

Wie von der Entdeckung gibt es inzwischen von der Höhle selbst auch mehrere Versionen. Lascaux I ist die Original-Höhle, die mit etwa 250 Meter Länge relativ klein ist. Der nach Ostsüdost ausgerichtete Eingang wurde in drei Schleusenkammern umgebaut. Dahinter beginnt der 17 Meter lange, 6 Meter breite und 7 Meter hohe Saal der Stiere. Weiter in derselben Richtung verengt sich die Höhle zum etwa gleich langen axialen Seitengang. Vom Saal der Stiere zweigt rechter Hand in nördlicher Richtung die 15 Meter lange Passage ab. Hinter der Passage folgt das 20 Meter lange, höher liegende Schiff. Das Schiff geht in einen nicht bemalten Gang über und endet schließlich im 20 Meter langen und engen Seitengang der Großkatzen. Zwischen Passage und Schiff öffnet sich nach Osten ein weiterer Seitengang. Er beginnt mit der Apsis, einem halbrunden Saal. Dahinter liegt der etwa 5 Meter tiefe Schacht.

1948 wurde die Höhle für die Allgemeinheit geöffnet. Der von etwa 1.200 Besuchern pro Tag verursachte Publikumsverkehr führte allerdings zu Pilz- und Schimmelbefall. Die daraufhin erfolgte Behandlung durch Pilzvernichter tat den Malereien auch nicht gerade gut und so wurde die Höhle schon 1963 wieder für die Öffentlichkeit geschlossen.

20 Jahre später öffnete mit Lascaux 2 eine exakte Nachbildung vom Saal der Stiere und dem axialen Seitengang seine Tore. Wie beim nur 200 Meter entfernten Original führt der Eingang hier ebenfalls in den Untergrund und verstärkt so den authentischen Eindruck. Daneben gibt es noch die Wanderausstellung Lascaux 3 mit Kopien der Kunstwerke aus dem Schiff und dem Schacht.

Die Räume von Lascaux 4 (Quelle: Presseinfo Lascaux 4)

Ja, und ich folge Marie gerade mit etwa 25 weiteren Besuchern aus Deutschland durch einen tiefen Graben des eindrucksvollen Gebäudes, das Lascaux 4 beherbergt. Wir alle tragen einen Kopfhörer und hören Maries Stimme in astreiner Qualität. Apropos Authentizität: Auch hier geht es leicht abwärts in Richtung des Höhleneingangs – das ist wohl auch der Grund dafür, warum wir vorhin erst mit dem Aufzug hoch auf ein Panoramadeck gefahren sind. Aus unsichtbaren Lautsprechern (oder den Kopfhörern?) hören wir Marcel, wie er seinen Hund zurück pfeift. Wir hören die Stimmen der Jungs, wie sie sich erregt und in einer seltsamen Sprache über ihre Entdeckung unterhalten. „Die sprechen kein Französisch“, klärt uns Marie auf: „Das ist okzitanisch. So sprach man früher hier.“ Klar, denke ich, wir sind ja auch in Okzitanien .

Bevor wir die Höhle betreten, zeigt uns Marie noch einen Animationsfilm, wie es im Umfeld der Höhle vor 20.000 Jahren ausgesehen hat … in der Eiszeit. Da laufen mit ungelenk animierten Bewegungen Löwen, Mammuts, Pferde und anderen Tiere in einer winterliche Landschaft herum. Und dann öffnet sich ein paar Schritte weiter ein Tor in eine andere Welt.

Lascaux IV is the only full and exact replica of the original cave“, so heißt es auf der englischen Webseite des Museums . Ich lass das mal so stehen – frage mich aber doch, ob die tatsächlich auch die Malereien im Schacht oder im Seitengang der Raubkatzen kopiert haben, obwohl die Führer uns die Werke nicht zeigen können, weil sie eben wie im Original schwer zugänglich wären. Und wer von uns wolle sich schon an einem Seil einen Schacht hinunter hangeln? Aber später nach Ende des Höhlenrundgangs könnten wir uns die fehlenden Werke ja in der Workshop-Abteilung ansehen.

Eins der bekanntesten Bilder aus dem Saal der Stiere

Die Höhle mag also vielleicht keine hundertprozentige Kopie sein, aber die Malereien und Ritzungen sind wohl alle zu sehen. Wie dem auch sei – wir stehen im Saal der Stiere und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist halbdunkel, kalt, feucht und die Wände werden von Fettleuchten spärlich erhellt … ähem, nein von Leuchtdioden, die in lampenähnlichen Gehäusen stecken, wie sie in der Originalhöhle gefunden wurden. Wie oft habe ich diese Bilder schon in Büchern gesehen, aber jetzt hier in richtiger Größe in einer „richtigen“ Höhle – das ist einfach großartig.

Das (einzige) gestürzte Pferd: Wurde es eine Klippe hinunter getrieben?

Und ja, der Kopf weiß natürlich, dass nichts echt ist, dass die Felsen auf Polyesterformen aufgetragene Steinimitate sind, dass modernste Laserscanntechnik am Anfang der Rekonstruktion standen und die Kunstfertigkeit von Malern des 21. Jahrhunderts an ihrem Ende. Und doch ...

Hunderte von Tieren um uns herum, an den Felswänden bis hoch zur Höhlendecke. Stiere, Kühe, Pferde, Hirsche. In Bewegung. Es sind kraftvolle, wilde Tiere. Lebensecht. Die Linienführungen genial, die Proportionen ausgewogen. Die Figuren sind geschickt in die natürlichen Felsformationen eingearbeitet. Marie erklärt uns einiges über die Kunstfertigkeit der Maler, wie sie Bewegungen und Perspektiven darstellten, wie sie beim Übermalen alter Werke die neuen Figuren so malten, dass die darunter befindlichen noch durchscheinen und damit nicht zerstört wurden oder welche Farbstoffe und Techniken sie benutzt haben.

Die Abbildungen wurden sowohl auf die unebenen Wände gemalt als auch in diese eingeritzt, wobei die Künstler die Kanten und Rundungen der Wände nutzten, um ihren Kompositionen mehr Ausdruck zu verleihen.Viele der Bilder befinden sich unter der Decke, so dass sie ein Gerüst gehabt haben müssen, weshalb man Lascaux auch die sixtinische Kapelle der Vorgeschichte nennt.

Figur aussuchen, Tablet hinhalten und Infos dazu hören oder lesen – so ...

… einfach kann eine multilinguale Ausstellung sein.

Und dann sind wir wieder draußen. Marie beantwortet die wenigen Fragen der Gruppe und verabschiedet sich danach. Wir gehen in die nächste Abteilung: das Museum, auch Workshop oder Atelier genannt. Hier sind die „Hauptwerke“ der Höhle nochmal zu sehen und wieder befinden sich die Gemälde auf Nachbildungen der Höhlenoberfläche. Am Eingang der Abteilung bekommen wir ein Tablett, das unsere Position erkennt und so hören wir im Kopfhörer eine Erklärung der Bilder, die wir gerade sehen, in einer von neun möglichen Sprachen.

Übereinander gemalte Bewegungsabläufe durch Trickfilm verdeutlicht.

Und weil das hier Projektionen sind, erleben wir auch, wie zusätzliche Linien und Zeichnungen eingeblendet werden, um Strukturen bzw. vom Künstler beabsichtigte Bewegungen zu verdeutlichen. Genial.

Übermalt und doch nicht zerstört – sichtbar gemacht durch Verstärkung der Konturen

Hier bekommen wir auch die Abbildungen aus dem Schacht zu sehen, wo der einzige Mensch dargestellt ist. Er hat einen Vogelkopf, wird von einem Büffel bedroht, ist anscheinend verletzt und fällt nach hinten. Martin Bernstein schrieb anlässlich des Besuchs von Lascaux 3 in München in der süddeutschen Zeitung :

Der sterbende Gallier (Quelle: Wikipedia)

Am Ende wartet der Tod. Mit einem wilden Schnauben wirft der waidwund von einem Speer getroffene Wisent seinen mächtigen Schädel herum. Das Tier hat keine Überlebenschance – aus einer riesigen Bauchwunde quellen bereits die Gedärme. Doch mit einem letzten Stoß der mächtigen Hörner trifft das Rind noch seinen Jäger. Tödlich getroffen sinkt auch der nach hinten zu Boden. Der Vogel des Todes zeigt es an: Auch der Mensch wird diesen Jagdtag nicht überleben.

So ähnlich hat uns das Marie auch erzählt. Hier  findest du eine etwas nüchterne Erklärung (mit einem besseren Bild). Ob das wirklich die Bedeutung dieser einfachen Strichzeichnung ist, das weiß keiner. Aber diese Erzählung hat unsere ohnehin schon empfundene Ehrfurcht beim Höhlenrundgang weiter verstärkt.

Theater der Steinzeitkunst, Akt 3

Nach dem sehr gut gemachten Museum geht‘s weiter ins Theater der Steinzeitkunst (Theatre of paleolithic art). Das sind drei kleine Bühnen, auf denen Hintergrundinformationen als Dialog in Szene gesetzt werden – sozusagen als Dreiakter. Im ersten Akt wird erzählt, wie „Besucher der Pariser Weltausstellung von 1878 die ersten Höhlenmalereien entdeckten“ (eine interessante Formulierung ) und die Prähistoriker darüber diskutierten, ob Steinzeitmenschen wirklich solche Meisterwerke vollbringen konnten. Der zweite Akt zeigt die Ideen und Arbeitsweisen von zwei bedeutsamen Forschern des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet: André Leroi-Gourhan  und Henri Breuil . Im dritten Akt erfährst du, welche Techniken heutigen Forschern zur Verfügung stehen.

Ich habe mir nur den dritten Akt angesehen. Auf vier Projektionswänden kommunizieren Menschen miteinander und es soll wohl so aussehen wie eine Life-Schaltung. Sternenhimmel und futuristische Grafiken im Hintergrund geben dem Ganzen eine aktuelle bzw. fortschrittliche Anmutung. Das wirkt auf mich alles ein bisschen künstlich, wozu auch die Lautstärke der französischen Dialoge beiträgt, die meine Übersetzung im Kopfhörer überlagern. Nicht mein Ding.

Im Kino bin ich wiederum begeistert: Da fliegt eine Leuchtkugel wie ein Glühwürmchen durch eine großformatige 3D-Darstellung der Höhle und ein Sprecher informiert (auch wieder eher laut) über mögliche Interpretationen der Malereien und stellt philosophische Betrachtungen an. Auf dieser Webseite  kannst du dir einen ähnlichen Film ansehen (allerdings ohne Glühwürmchen), der aber aufgrund des teilweise verwendeten „Weitwinkels“ manchmal eine so verzerrte Darstellung zeigt, dass ich Schwierigkeiten habe, dies mit der gesehenen „Realität“ in Einklang zu bringen. Insgesamt ist diese Webseite aber sehr informativ und empfehlenswert.

Von der Höhlenmalerei zu den Künstlern der Gegenwart

Mit den 90 Bildschirmen in der nächsten Abteilung, die Verbindungen der Höhlenmalereien zu zeitgenössischer Kunst u.a. von Meistern wie Miró, Tàpies und Picasso aufzeigen sollen, kann ich wieder weniger anfangen. Zum Ausgleich genieße ich die Darstellung im „Immersion room“:

Eintauchen in die Höhlenkunst

Dort sitzt du auf einer Bank in der Mitte eines größeren Raums und Projektionen von Höhlenmalereien auf die Wände vorn, rechts und links sowie den Fußboden lassen dich praktisch eintauchen in eine andere Art von Höhle. Französische und englische Untertitel erklären dir etwas von einer Beziehung zwischen Mensch und Tier, die über die Nahrungsmittelproduktion hinaus geht, und dass wir auf dem besten Wege sei, dieses Verhältnis für immer zu zerstören. Dann fangen die Figuren an zu laufen (oder schwimmen) und verschwinden durch eine „Seitentür“. Auf diese Weise werden nach und nach wohl die meisten Tierarten vorgestellt, die in den Höhlen der Welt verewigt sind. Und so sehe ich auch zum erste Mal Giraffen als prähistorische Skizze. Am Ende gerät die Vorstellung vielleicht etwas langatmig, aber insgesamt ist das absolut sehenswert.

Ich habe Lascaux 4 nach dem obligatorischen Schwenk durch den Museumsbuchladen verlassen, stelle mein Handy wieder an und erfahre, dass mein Schatzi bis vor kurzem noch im Café vor dem Gebäude auf mich gewartet hat. Schade, das wäre noch ein gelungener Abschluss für diese eindrucksvolle Zeitreise gewesen. Zwei Straßen weiter treffen wir uns und spazieren noch ein wenig durch das altertümliche Montignac – nicht so herausgeputzt wie Beyzac oder Roque Gageac, dafür aber mit weniger Tourismus (für mich) genauso reizvoll.

Die Brücke über die Vézère

Neben solchen Gassen gab es auch …

… weniger ansehnliche Häuserreihen.

Es ist 16 Uhr: Wurde die Zeit …

… angehalten, als Gott …

… aus diesem Hause zog?